Burschenschaftler und Demokrat im 19. Jahrhundert
Eugen Höflings Geburtshaus, das ehemalige "Gasthaus zum schwarzen Bären" am Buttermarkt in Fulda.
Das Haus befindet sich heute in der Pflege und Obhut der Kreissparkasse, die das Gebäude nach denkmalpflegerischen Grundsätzen restauriert hat, um der Nachwelt eines der ältesten Bürgerhäuser (mit Fachwerk) zu erhalten.
In der linken Ecklisene ist das Relief eines laufenden Bären mit Jungen un der Jahreszahl 1544, in der rechten Lisene ein solches mit stehendem Bären an einer Kette und mit der gleichen Jahreszahl zu sehen.
Man mag je nach eigenem Standort solche Veränderung natürlich, zwangsläufig, betrüblich oder gar tragisch nennen. In jedem Falle ist Höflings Weg Abbild vieler, vom Ansatz her ähnlicher Lebenskurven
im 19. Jahrhundert und darum - gut belegt durch seine eigenen Aufzeichnungen - auch von allgemeinerem Interesse.
Eugen Höfling entstammte dem jungen Großbürgertum einer Stadt, die sich im Gegensatz zu ihrem weiteren Umfelde dank fortschrittlicher Fürstäbte während des 18. Jahrhunderts in großer Liberalität
entfaltet hatte. Als er am 5. Oktober 1808 als Sohn des ehedem fürstbischöflichen Bankiers und Kommerzienrates Franz Wilhelm Höfling geboren wurde, gehörte seine Vaterstadt Fulda zwar zum
französischen Kaiserreiche, doch werden ihre Bürger die napoleonische Verwaltung weniger schmerzlich empfunden haben als die folgenden staatsrechtlichen Strukturen.
Das hatte auch für das in weltweiten Verbindungen stehende Handelshaus Höfling Geltung, das bis zum Wiener Kongreß seinen Wohlstand mehren konnte. Erst die 1815/16 einsetzende Restauration engte auch
die wirtschaftlichen Möglichkeiten in arger Weise ein. Es ist wichtig, diese ökonomische Entwicklung anzusprechen, weil sie auch die Studenten anging, die zumeist aus wohlhabenden Bürgerhäusern
kamen. Die geschwächte finanzielle Situation und die daraus sich entwickelnde Unzufriedenheit der Väter vermählte sich mit dem Sturm und Drang der Söhne, die andererseits wieder im verhältnismäßig
schnellen Wandel studentischer Generationen nicht einfach wesensgleiche Nachfolger derer waren, die zehn Jahre zuvor aus den Freiheitskriegen heimgekehrt waren. Man muß das sehen, um die
Mehrpoligkeit der burschenschaftlichen Bewegung einigermaßen zu erfassen, in der sich Höfling und seine Fuldaer Freunde vorfinden, als sie 1826 ihr Medizinstudium in Marburg beginnen.
Das studentische Album Höflings aus den Jahren 1826-1831 belegt das in lebendiger Weise. Wir lesen
kräftige Worte von Vaterland, Ehre und Freiheit, aber auch schlichte Verse der Freundschaft, die von Erlebnissen berichten, wie sie die Jugend kennt, oder ein sorgenfreies Studentenleben preisen.
Doch ausgesprochen oder nicht, hinter jedem Satz steht die Sehnsucht nach einem großen "teutschen Vaterlande, gesetzlich frei, volkskräftig unzersplittert", eine Sehnsucht, die jederzeit Nährboden
neuer Bewegung werden kann.
Höfling selbst ist zunächst wohl einfach ein fröhlicher Studiuosus gewesen. Doch sein 1828 erfolgter Wechsel von Marburg nach Würzburg, wo er einer zu jener Zeit illegalen Burschenschaft Germania
angehört, zeigt auch bei ihm die ganze Bandbreite burschenschaftlichen Lebens jener Tage. So ist auch der Album-Eintrag seines "deutschen Bruders" J. Sartori aus Würzburg nicht von ungefähr, auch
wenn wir die völlige Identifikation Höflings mit solchen Worten in Beobachtung seines weiteren Lebensweges verneinen werden:
"Und jeder wählt und keinen siehst du beben
den freien Tod für ein bezwungenes Leben."
Fraglich ist, ob Höfling "Waffenstudent" in dem uns geläufigen Sinne gewesen ist. Ein in der
Familie aufbewahrtes blutdurchtränktes Burschenband läßt es vermuten. Eindeutig aber war sicherlich seine ablehnende Haltung zum Duell. Als er 1833 in Fulda von einem Offizier eine Forderung erhält,
läßt er antworten: "Wenn der Herr glaubt, daß eine Grobheit von seiner Seite meiner Ehre einen Schaden zufüge, den ich nur durch ein Duell ausbessern könnte, so kann ich den großen Irrtum desselben
nur beklagen... die Zeiten geistloser Renomisterei sind längst vorüber... zwar ehrt man allgemein gern die Tapferkeit, betrachtet aber mit Abscheu die lächerliche Roheit vergangener
Jahrhunderte."
Wir haben langer und schmerzlicher Umwege bedurft, um zu dem Standort eines Burschenschafters zurückzufinden, der noch nicht von den Versuchen der bürgerlichen Gesellschaft angekränkelt war, es in
allem dem Adel und dem Offiziersstande gleich zu tun.
Ähnlich ist auch Höflings Verhältnis zum Militär. Nur Bürgerwehren als Ausdruck der Souveränität des Volkes werden von ihm anerkannt. Als er als junger Arzt einmal Manöversoldaten zu versorgen hat,
schilt er in seinem Tagebuch über das "lächerliche Spielwerk, für das so mancher für nichts und wieder nichts" seine Gesundheit opfern müsse.
Schon 1830 ist Höflings eigene "Burschenherrlichkeit" zu Ende. Der Vater ist gestorben. Das Erbe ist mit dem Handelshause im wesentlichen an den älteren Bruder gefallen. Sein Anteil reicht gerade
noch zu einem geregelten Abschluß seiner Studien und zu der damals üblichen "Bildungsreise". Ehe er sie antritt, promoviert er bei dem später sehr bedeutenden Karl Friedrich Heusinger in Marburg mit
einer sehr ausführlichen Dissertation "De Ichthyosi"(Fischschuppenkrankheit der Haut) und legt den ersten Teil seines Staatsexamens ab. Zusammen mit den jungen Ärzten Dr. Stadler aus
Fulda und Dr. Justi aus Marburg sehen wir ihn danach auf der Fahrt über Prag nach Wien, wo er nicht nur die damals sehr bedeutenden, zum Teil schon unter Joseph II. geschaffenen sanitären
Einrichtungen sehen kann, sondern auch eine Anschauung von der gerade abklingenden Cholera-Epidemie erhält, von der er ebenso wie seine Kollegen der Medizinalkommission in Kassel Bericht zu geben
hat.
In den letzten Tagen seines Wiener Aufenthaltes beginnen seine Tagebuchaufzeichnungen, die uns nun über viele Jahre ein sehr intimes Bild seiner Entwicklung geben, aber um ihrer Subjektivität willen
auch mit aller Vorsicht gewogen werden müssen.
Gleich in den ersten Zeilen finden wir Höflings scharfes Urteil über die Wiener Universität: "Ein Zuchthaus, in dem der Staat mit Zwangsstudium, Zwangsprofessoren und Zwangsprüfungen seine Beamten,
Priester und Ärzte ausbildet." Nur am letzten Abend in Wien erfreut er sich im Kreise einiger Vorarlberger und Wiener Studenten des "teutschen Sinnes, der auch in Österreich nicht ganz erloschen
ist". Aber er ist froh, am 11. Juli 1832 dieses Österreich zu verlassen. "Ich atmete freier auf, als ich statt der schwarz-gelben Totenladen-Farben das freundliche Weiß-Blau des konstitutionellen
Bayerns erblickte."
Ob Höfling vor seiner Bildungsreise am Hambacher Fest (27.5.1832) teilgenommen hat, wird von der Familientradition bejaht. Die Wiener Reise steht nicht dagegen, weil sie schon aus Kostengründen sehr
kurz gewesen sein dürfte. Für die Teilnahme in Hambach spricht, daß Höfling auf der Heimreise von Wien in Stuttgart, Heilbronn und Heidelberg jeweils sofort Fühlung mit "Hambachern" nimmt, die gerade
dabei sind, ihre ohnmächtigen Proteste gegen die dem Hambacher Fest folgenden Bundesbeschlüsse vorzubereiten. So besucht Höfling am 18. Juli 1832 in Stuttgart Lohbauer, der ihm den Entwurf eines
Aufrufes an das Militär vorliest, und in Heidelberg erfährt er von seinen dortigen Freunden Bode und Bairhofer das ganze Ausmaß der behördlichen Anordnungen. Er notiert dazu in seinem Tagebuch: "Wenn
jetzt das Maß der Sünden noch nicht voll ist, wenn solche Gewaltstreiche das deutsche Volk in feiger Hingebung erduldet, dann ist es nichts anderes werth! ...soll das herrliche Land nur von Sklaven
bewohnt werden? Nimmermehr!" Aber er selbst eilt nach Fulda zurück, ohne sich an den anlaufenden Planungen zu beteiligen, die im Frankfurter Wachensturm (3.4.1833) ihre Bündelung finden
werden.
Der späteren Familienlegende, daß er in Heidelberg eine ihm von dem dortigen Professor Nägele angebotene wissenschaftliche Laufbahn aus politischen Gründen (d.h. wegen seiner vorangegangenen
Beteiligung am Hambacher Fest) ausschlagen mußte, stehen eigene Notizen entgegen, in denen er als Motiv seiner Absage an den Heidelberger Gynäkologen nur seine Sorge um den Unterhalt von Mutter und
Geschwistern nennt.
Zurückgekehrt nach Fulda, beginnt er nach Abschluß der staatlichen Prüfungen (12. März 1833) seinen Vorbereitungsdienst im dortigen Landeskrankenhaus und bei dem Physikatsleiter der Stadt.
Wiederholte Bemühungen um Verkürzung der vorgeschriebnen einjährigen Ausbildungszeit scheitern, und er murrt über "Gängelung und Verletzung der Menschenrechte durch die drückenden Fesseln der
Staatsmaschinerie". Doch spricht in den Personalakten nichts dafür, daß bei der ablehnenden Haltung der Medizinalkommission in Kassel etwa seine politische Haltung irgendeine Rolle gespielt hat.
Umgekehrt wissen jene Akten auch nichts von einem Vorfall, der ihn selbst bei seiner späteren beruflichen Planung immer wieder mit der Sorge erfüllt hat, daß ihm etwas nachgetragen würde. Auf dem
sogenannten "breiten Stein" der Fuldaer Schmittgasse kam es zu einer Rempelei mit einem illegitimen Kurfürstensohn, der schließlich von seinem Degen Gebrauch machte. Noch acht Jahre später hielt es
der dem Hause Höfling freundschaftlich verbundene Bischof Pfaff für gut, sich bei einem Besuch des damaligen kurhessischen Innenministers, Staatsrat Dr. Koch, versichern zu lassen, daß der Kurfürst
"nichts mehr nachtrage".
Auch durch seine Zugehörigkeit zu dem sicher von der Obrigkeit nicht gern gesehenen "Patriotischen Verein" in Fulda, für den er sogar die Satzung entwirft, handelt sich Höfling keine erkennbaren
Schwierigkeiten ein. So erhält er nach Ablauf der Vorbereitungszeit im Mai 1834 die Genehmigung zur Eröffnung einer eigenen ärztlichen und geburtshilflichen Praxis in Hünfeld.
Schon bald nach seiner Ankunft in der damals recht unbedeutenden Kleinstadt im Haunetal regen sich
auch hier seine politischen Interessen. Eben noch in Fulda verabschiedet als "Präsident" des dortigen Bürgervereins, leitet er bereits im Herbst 1834 den Hünfelder Casino-Verein, bemüht, "die
Harmonie der Bürger zu fördern" und "den Herren bessere Sitten anzuerziehen". Auch die "gesellschaftliche Trennung, die insbesondere bei den Damen besteht", soll nach seinen Plänen
verschwinden.
Doch bald - enttäuscht von den "trockenen Philistern und Kannegießern" - wendet er sich dem kommunalen Ehrendienst zu, und wird mit 11 von 15 Stimmen in den Stadtrat gewählt. Die regierungsseitige
Bestätigung der Wahl erreicht ihn wie ein gutes Beruhigungsmittel inmitten neuer Ängste, die er sich vorübergehend um seiner burschenschaftlicher Vergangenheit willen zu machen hat. Am 24. März 1835
vermerkt er zwei "langandauernde Verhöre am hiesigen Amt auf Inquisition des Marburger Landgerichtes" und setzt in seinem Tagebuch hinzu:
"Lächerlich, solche längst begrabenen Geschichten wieder aufzuwärmen und vielleicht akademische Disziplinargesetze noch auf Leute auszudehnen, die längst im praktischen Leben ihre Stellung erkannt und jugendliche Schwärmereien praktisch verarbeitet haben."
"Aber ein Richter, der strafen will, braucht bei der bestehenden Gesetzgebung nicht verlegen sein. Er kann strafen."
"Es wäre zu ärgerlich, für so alte Geschichten noch leiden zu müssen."
So ungut die Sache zunächst für ihn aussieht, regt sie doch auch seine
Muse an:
"Siehst du der Sonne goldenes Gefunkel
im Westen dort bei ihrem Niedergang,
wie sie rötet rings das Dunkel,
der schwarzen Wolken Überhang?
Ja, so gewiß sie morgen wiederkehrt in ihrer Klarheit,
so unausbleiblich sicher kommt dereinst der Tag der Wahrheit."
Doch am Ende des Jahres kann er erleichtert
vermerken:
"Während viele meiner Universitätsfreunde unstet in der Fremde umherirren, nehme ich an der unmittelbaren Regierung einer Stadt teil! ...derschwarz- Faden, der sich... in mein Leben einzuspannen drohte, wird hoffentlich zu besserer Zeit wieder einmal erscheinen!"rot- goldene
Obwohl die kommunale Selbstverwaltung in Kurhessen (ganz im Gegensatz zu anderen öffentlichen
Bereichen dieses seit 1803 etwas anachronistischen "Kurfürstentums") durch die Gemeindeordnung vom 23. Oktober 1834 eine gesunde Grundlage erhalten hat, erlebt Höfling persönlich neben "erfolgreichen
Bemühungen zum Frommen der jetzigen Mitbürger" auch hier seine Enttäuschungen. Er scheitert als Kandidat der Wahlen zum Bürgermeisteramt und als Deputierter zur kurhessischen Städteversammlung,
zitiert ein wenig bitter den englischen Staatsmann Walpole, der gesagt haben soll, daß "dort, wo es auf Wahlen ankommt, die Gerechtigkeit nur ein leeres Wort ist", und setzt mit etwas angebrochenem
Demokratiebewußtsein hinzu, daß zwar der Satz "vox populi, vox dei" wohl noch immer Geltung habe, aber die Ehrgeizigen, Geldgierigen usw. doch oft das Rennen machen würden.
Immerhin bucht er gleichzeitig als Gewinn seiner Staatsratstätigkeit die Erfahrung des Unterschieds einstiger jugendlicher Ansichten von der Wirklichkeit.
Einen gewissen Höhepunkt in seiner kommunalpolitischen Arbeit bildet schließlich seine Mitarbeit in
der 1838 gegründeten kurhessischen Eisenbahnkommission. Er hat deutlich einen Spürsinn dafür, daß sich mit der durch die "reißende Gewalt der Dämpfe" eingeleitete Entwicklung auch neue Perspektiven
für seine politischen Hoffnungen ergeben. "Alle geistige Regung ist scheinbar erstickt, aber der einmal erregte Gemeinsinn und das kräftige Gemüth des Volkes werfen sich auf die materielle Seite.
Eisenbahn und Dampfbewegung sind Losungsworte statt Freiheit und Gleichheit, aber die materielle Bewegung wird die geistige vorbereiten, und diese wird dann unwiderstehlich seyn."
Seine Begeisterung für die Eisenbahn und ihre Trassierung über Hünfeld brandet "gegen den starren Felsblock des Bürgermeisters, dem das Heil der Dampfeisenbahn gar zu mechanisch dünkt, als daß einer
moralischen Person dadurch geholfen werden könne". Er selbst aber prophezeit, "daß mit der Maschinenkraft eine neue Aera anhebt, die den Irrthum beseitigen wird, daß der Mensch nur zur körperlichen
Arbeit geboren werde". So setzt er schließlich unter Umgehung des Bürgermeisters auch seine Entsendung zur Generalversammlung in Kassel am 31. Januar 1838 durch und spricht dort "nicht ohne
Herzklopfen" als Städtevertreter, während "mehrere 100 schlaue und höchst gescheite Augen und Ohren" auf ihn gerichtet sind.
Zurück in Hünfeld erfährt er die ablehnende Haltung des Bürgermeisters und des Bürgerausschusses in scharfen Worten: "Bei einer solchen Modesache gleich mitzumachen, verrät keinen Haushalter,
besonders jetzt, wo bereits vom Mißglücken der Eisenbahnunternehmungen die Rede ist." Dabei sei fast gewiß, daß "die projektierte Eisenbahn nie über Hünfeld gehen wird".
Höfling hat nicht nur die Genugtuung erfahren, daß etwa zweieinhalb Jahrzehnte später Hünfeld an das Eisenbahnnetz angeschlossen wurde, sondern hat auch miterlebt, wie sich die von ihm vorausgesehene
Lawine der technischen und industriellen Entwicklung in Bewegung setzte und entscheidend dazu beitrug, unser gesamtes soziales, kulturelles und politisches Leben zu verändern.
Doch anno 1838 bereitet solche Vorahnung noch nicht viel Trost. So mehren sich in seinem Tagebuch wieder die ärgerlichen und bitteren Worte der politischen Kritik. Er schmiedet "Pläne eines
herumziehenden Schwärmers", der einen "Handel betreibt mit Gläsern für kurzsichtige Fürsten, gefärbte Brillen für Geschichtsschreiber... mit Pulver für den stinkenden Atem der Hofleute... mit Mitteln
gegen die Gefräßigkeit der Staatsdiener" oder mit "kühlenden Mixturen für hitzige Volksfreunde". Er greift das "alte, verfaulte Europa an, wo es privilegierte Müßiggänger gibt, die von dem bitteren
Schweiß der Elenden leben", oder er dichtet:
"Es leben alle Potentaten...
und hungrigen Staatsdienstkandidaten...
es leben die niedrigen Kriecher,
es leben die Herren mit Tressen,
es leben die Frauen Mätressen,
es leben die Zensur und die Tortur."
Den in Hannover geübten Despotismus quittiert er mit den Worten, "daß unser elender, politischer
Zustand so recht offenbar" werde. Und "ein Volk, das sich die beste Constitution entziehen läßt", wohl nichts Besseres verdiene. Und in demselben Zusammenhang nennt er einen Despoten "ein Ungeziefer,
einen Bandwurm, eine Laus, eine Mücke, eine Wespe".
Aber Gesprächspartner solcher Ausbrüche des politischen Zorns ist in der Regel nur sein Tagebuch. Die Verbindungen zu alten Freunden sind seltener geworden. Das gilt insbesondere für die
Burschenschaft, die noch nicht als Lebensbund empfunden wurde. Dann und wann taucht ein gleichgesinnter alter Weggefährte auf, ohne daß sich daraus erkennbare Konsequenzen für den eigenen Lebensweg
ergeben. Zu ihnen gehört auch Blum, der ihn im Sommer 1839 auf einer Reise in die Schweiz besucht. Die Gesprächsthemen (Richard Wagner, Herder, Nihilismus, katholischer Mystizismus) lassen vermuten,
daß es sich um Robert Blum gehandelt haben könnte.
Eine gute Ausnahme in Höflings persönlicher Einsamkeit während der Hünfelder Jahre ist nur sein
Fuldaer Jugendfreund, der Pfarrer Pfister von Mackenzell. Hier kann er seinem Herzen frei Luft machen und mit Pfister darin wetteifern, die treffendsten Vokabeln für die Willkür seines Kurfürsten
(z.B. die gesetzlose Einvernahme der Rotenburger Quart in das Privatvermögen des Kurhauses) zu erfinden.
Aber das alles darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß es auch Höfling ergeht wie allen revolutionären Geistern. Man wird älter, man gibt zwar die großen Hoffnungen nicht auf, spürt zwar, daß man
"gesünderes Blut in den Adern" hat, lernt aber warten. Ja, Höfling empfindet gar 1839 ein "behagliches Gefühl, als er beim Lesen der Steckbriefe seiner Universtitätsbekannten im warmen Stübchen
sitzen" könne. Die Ära des Biedermeier beginnt auch für ihn.
Vielleicht ist ihr auch die sich im Laufe der Jahre bei Höfling wieder steigernde wissenschaftliche Arbeit anzurechnen. Immer wieder erscheinen nun Aufsätze von ihm in Henkes Zeitschrift für
Staatsarzneikunde oder in Caspers Wochenschrift für die gesamte Heilkunde. Er wird Mitglied der Gesellschaft der Naturforscher zu Kassel und korrespondiert mit seinem alten Lehrer wegen seiner
Habilitationspläne, die er aber aus finanziellen Gründen auch wieder verwirft.
Die Streuung seiner medizinischen Themen ist weit. Sie reichen von psychiatrischen Problemen über Fragen seiner täglichen Praxis bis hin zu medizin-statistischen Arbeiten. Daneben veröffentlicht er
aber auch Arbeiten aus dem Bereich seiner ganz persönlichen Liebhaberei, der Käferkunde, und da und dort ein kleines Gedicht. Endlich sammelt er auf seinen vielen Dienstwegen durch das "Buchenland"
Sagen und Märchen, die er aber leider nicht veröffentlicht hat.
Ende 1839 sehen wir ihn als Kommissionsmitglied bei der Gründung der Städtischen Sparkasse in Hünfeld und erfahren so, daß er seine Stadtratstätigkeit ungeachtet aller persönlichen Enttäuschungen
durchgehalten hat.
Im übrigen richten sich alle seine Gedanken gegen Ende der dreißiger Jahre mehr und mehr auf die berufliche Zukunft aus. Schon bald nach dem Bestehen des Physikatsexamens (1836) beginnt er, sich um
jede freiwerdende Stelle in Kurhessen zu bewerben. Dabei mag man ihm heute noch nachempfinden, wie schwer es gerade ihm wohl gewesen sein muß, immer wieder zu schreiben "Durchlauchtigster Kurprinz,
Mitregent und Herr" und "untertänigst Euere königliche Hoheit zu bitten, Höchstderselbe möge gnädigst geruhen", um schließlich zu "verharren in tiefster Ehrfurcht als untertänigster Diener".
Einmal spöttelte er selbst über die Demütigung, die er bei alledem empfindet. Nun sei er schon soweit herumgekommen, daß er die Hofnachrichten lese, um festzustellen, ob der Kurprinz schon in Kassel
über sein Gesuch entscheiden könne oder noch als Badegast in Norderney oder Bad Nenndorf sei.
Wirtschaftlich drängt ihn nichts zu einem beeilten Wechsel in den Staatsdienst. Seine Klientel hat sich von Jahr zu Jahr vergrößert. Das karge Leben des Anfangs ist gewichen. Das äußert sich auch in
vermehrten Tagebucheintragungen über fröhliche Feiern im Freundeskreis, den er allmählich als Arzt gewonnen hat. Hier kann er gelegentlich sogar einmal ausgelassen sein wie in Marburger Tagen. So
brachte er durch seinen eigenen Gesang bei einer Silvesterfeier "die schon sehr anarchische Gesellschaft wieder in eine feste Position". Es ertönten der "fröhliche Hans" und "alle tollen Lieder,
die... das Studentenleben... zurückgelassen hat!"
Auch in seinem gesellschaftlichen Umgang hat er sich seiner Stellung als Staatsdiener angepaßt. Er
pflegt nicht nur den Verkehr mit Bürgermeister und Amtmann, sondern hat auch ein fast freundschaftliches Verhältnis zu dem Kammerherrn von Buttlar auf Elberberg bei Naumburg und notiert ohne jede
negative Reflexion die Begegnungen, die er in Elberberg mit den streng konservativen Ministern Vilmar und Hassenpflug (beim Hessenvolk "Hessenfluch" genannt) hat. Nicht einmal ein flottes Tänzchen
mit einer Tochter Hassenpflugs gelegentlich einer öffentlichen Tanzveranstaltung steht einer unveränderten politischen Gesinnung entgegen! Und bei den Geburtstagen des Landesfürsten zählt er
selbstverständlich zu den 20 Honoratioren, die den festlichen Tag mit einem Bankett und einem "munteren Bällchen" abschließen.
Daß über dem allen sein Herz unruhig geblieben ist, wird erst wieder in einer Auseinandersetzung erkennbar, die er mit seiner Kirche wegen der evangelischen Erziehung seiner Kinder durch seine
Ehefrau führen muß. So heftig er sich zeitweise auch mit dem katholischen Ortspfarrer auseinandersetzt, so deutlich wird sein Schmerz über die von der Kirche schließlich ausgesprochene
Exkommunikation. Er hat daran bis zu seinem Tode um so schwerer getragen, als er sich von seinem Fuldaer Elternhaus her immer als treuer Sohn seiner Kirche empfunden hatte. Dabe hat er selbst wie
viele überzeugte Christen beider Konfessionen aus jener Zeit nicht bemerkt, in welchem Abstande infolge der Einflüsse der Aufklärung seine Anthropologie im Gegensatz zu dem christlichen Menschenbilde
stand. Wir lesen heute seine idealistische Hoffnung auf allmähliche Besserung des Menschengeschlechtes mit den gemischten Gefühlen der Nachgeborenen, die Grauen und Chaos zweier Weltkriege hinter
sich haben.
Wir können nicht nur schmunzeln, wenn er schreibt: "Ich bin nicht schlecht, nur daß ich mit meinen sozialen Verhältnissen kollidiere, bringt meine Handlungen in Disharmonie." Man meint hier und in
anderen Stellen Karl Marx oder Engels zu hören und erlebt - ohne daß Höfling von diesen wahrscheinlich Kenntnis genommen hat - einfach den Bazillus jener Tage, den Zeitgeist, der ihn im gleichen
Fortschrittsoptimismus auch sagen lassen kann: "Es gibt Kräfte in uns, jede Leidenschaft zu beherrschen, jede Untugend zu unterdrücken."
Und so weiß er etwa auch vom Militärdegen - um ein Beispiel zu geben - zu sagen, daß im Zuge der "allgemeinen Zivilisierung" der Seitendegen der Offiziere bald verschwinden werde oder allenfalls ein
Stückchen "Galanterie" bliebe, da die "rohe Gewalt immer mehr verdrängt werde".
Doch diese, unser Sünderdasein stark in Zweifel ziehende Fortschrittsgläubigkeit, die noch heute herrschend ist, ist bei Höfling gepaart mit einer pietistischen Zuversicht, daß Gott alles wohl regeln
wird. Er liest seinen Jung-Stilling und schreibt: "Auch ich habe vielfache Ursache, an die Einwirkung der Vorsehung auf mein spezielles Schicksal zu glauben. Ich will endlich das Meinige tun. Das
Übrige wird der Vater im Himmel besorgen." Wir sind danach nicht verwundert, aus späteren Aufzeichnungen seiner Tochter zu hören, daß er bis in das hohe Alter gelegentlich Hausandachten in seiner
Familie gehalten hat.
Am 9. September 1857 wird Höfling "durch allerhöchsten Beschluß" zum Amtsphysikus in dem im Vergleich zu Naumburg sehr viel bedeutenderen Physikat Eschwege II ernannt und tritt aus der von ihm so oft
beklagten Enge der hessischen Kleinstadt in ein Wirkungsfeld, das ihn noch einmal zu vielfältigen Aktivitäten ermuntern wird.
1860 übernimmt er zusätzlich die Leitung des Eschweger Krankenhauses und betreut neben dem Physikat eine umfängliche Armenpraxis. Und alsbald nach den großen politischen Veränderungen des Jahres 1866
bewirbt er sich "im Vertrauen auf die im Königreiche Preußen herrschende Rechtsordnung" um die Stelle des Eschweger Kreisphysikus. Der von ihm einst gern bespöttelte Staat, der allerdings wohl schon
seinen ungeteilten Beifall bei der Auflösung des ungeliebten Kurfürstentums gefunden hat, enttäuschte ihn nicht. 1869 erhält er das erbetene Amt, und wenige Jahre danach auch den "Charakter" eines
königlichen Sanitätsrates.
In die "neue Zeit" fällt auch eine erneute Bemühung der Universität Marburg, ihn mit einem Lehrstuhl zu betrauen. Höfling winkt aber um seines Alters willen ab. Es soll für ihn eine wehmütige Stunde
gewesen sein.
Einen gewissen Ausgleich erhält sein nun reich gefülltes berufliches Leben aber in zahlreichen Aktivitäten, zu denen seine gereifte Persönlichkeit gerufen wird. Sein Fundament wird - wen verwundert
es nach dem geschilderten Lebensweg - die nationalliberale Partei, in der er bald Führungsaufgaben hat, und deren herausragender Mandatsträger er in den städtischen Körperschaften wird. Bald ist er
auch Vorsitzender des Meißnerschen ärztlichen Vereins der Stadt und leitet die örtliche Gruppe des Hessischen Geschichtsvereins.
Die reichste Ernte aber wird sein Leben, das ihn so lange verzichten lehrte, in einem Geschehen finden, dessen Entfaltung er nicht einmal erahnen konnte. Die von seiner Tochter geschilderte innige
Wärme seines häuslichen Lebens wurde zu einem Anziehungspunkt für einen kleinen, mit seinem jüngsten Sohn Richard befreundeten Buben aus einer Eschweger Handwerkerfamilie. Es war Otto Heinemann, der
Vater unseres ehemaligen Bundespräsidenten, der durch "Onkel Höfling" Anregungen für seinen eigenen Lebensweg erhielt. Nur Gott weiß, in welchem Maße Höfling hier Gärtnerdienste für unser Volk gehabt
hat. In jedem Falle ist es wohltuend, auch hier Gottes lenkende Hand zu spüren.
Als Dr. Eugen Höfling am 21. Juli 1880 nach kurzer Erkrankung heimgerufen wurde, folgte seinem Sarg ausweislich der Presseberichte der Zeit eine große Trauergemeinde, zu der auch der katholische
Dechant "im vollen Ornat" zählte, obwohl die seinerzeit ausgesprochene Exkommunikation immer noch wirksam war. Die Fuldaer Wochenschrift "Buchonia" vom 24. Juli 1880 hob den geschickten,
gewissenhaften und humanen Arzt hervor, zu dem die Patienten ein außerordentliches Zutrauen hatten. Das Kasseler Tagesblatt und die Mitteilungen des Vereins für hessische Geschichte und Landeskunde
unterstreichen seinen edlen Charakter. Er sein ein Mann gewesen, der keine Feinde, wohl aber viele Freunde besessen habe. Zwei Jahre später folgte in Eschwege anläßlich der Einweihung der dortigen
Erinnerungstafel eine große, von einer Reihe Korporationen und der Stadt Eschwege veranstalteten "Höflings-Feier". Ob das Fest, zu dem außer einem Kommers in der "Goldenen Crone" unter anderem auch
ein Fackelzug und ein Feuerwerk gehörten, ganz im Sinne des Gefeierten gewesen ist, der vor seinem Tode längst ein stiller und bescheidener Mann geworden war, ist schwer zu sagen. Vielleicht fühlten
sich die Veranstalter ein wenig durch sein letztes, 1879 der Wiener Burschenschaft gewidmetes Lied bestätigt und ermuntert, in dem es heißt:
"Im Alter noch wirkt dann der Geist der Jugend,
der Jügling lebt im reifen Manne fort,
für Wahrheit, Recht und jede Mannestugend
erstreben wir der Menschheit ewigen Hort..."
Dr. Richard Pawelitzki, ein Urenkel Höflings, was seine Objektivität jedoch nicht in Frage stellt, hat den kurz nach Eugen Höflings Tod entbrannten, langjährigen Streit um dessen Urheberschaft des Studentenliedes "O alte Burschenherrlichkeit", der letztlich zu seinen Gunsten entschieden wurde, in den 1970er und 80er Jahren kritisch zusammengefaßt.